Mit Verantwortung verlegen

No°12

Credit: Pexels/Mikhail Nilov

Im Grunde lässt sich der Fliese in puncto Nachhaltigkeit nur wenig vorwerfen. Zum Wohle unserer Umwelt und Gesundheit besteht dennoch dringender Handlungsbedarf. Einige Hersteller:innen haben dies bereits erkannt und neue innovative Wand- und Bodenbeläge entwickelt, die für eine Revolution in der Wohnraumgestaltung sorgen. Für das Green Style Magazin FOGS durfte ich den Aspekt des nachhaltigen Fliesens einmal näher beleuchten.

Wenn es um nachhaltiges Bauen, Einrichten und Wohnen geht, gerät ein Belag stets schnell in Vergessenheit: die Fliese. Nicht einmal Architekt:innen haben sie immer auf dem Schirm, dabei ist sie eines der ältesten und klimafreundlichsten Materialien der Welt. So besteht die kleine Keramikkachel lediglich aus einem gebrannten Gemisch aus Ton, Sand, Feldspat, Quarz und Wasser. Natur pur also! Gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe sucht man bei dem robusten Wand- und Bodenbelag vergebens. Ein erfreulicher Fakt, wenn man bedenkt, dass sich der Mensch rund 80 Prozent seines Alltags in geschlossenen Räumen aufhält. Gerade auch für Allergiker:innen steigert ein Zuhause ohne derart bedenkliche Ausdünstungen die eigene Lebensqualität um ein Vielfaches. Noch dazu steht die Fliese für Langlebigkeit. Mit einer erwarteten Lebensdauer von rund 50 Jahren überdauert sie teils mehrere Generationen. Unbestritten gilt die Fliese in vielerlei Hinsicht als eines der saubersten Bau- und Wohnmaterialien überhaupt. Potenzial zur Verbesserung gibt es dennoch.

Volles Potenzial ausgeschöpft?

Trotz all ihrer positiven Eigenschaften will die herkömmliche Fliese allerdings nicht mehr so recht in moderne Lebens- und Wohnsituationen passen. Nicht ohne Grund: Häufig wird dem Keramikbeag ein Mangel an Flexibilität in Sachen Gestaltung vorgeworfen. Einmal verlegt, lässt sich am Design so schnell nichts mehr ändern. Ist eine Kachel beschädigt, will an den hohen Aufwand für den Austausch kaum gedacht werden. Und wird dann doch mal komplett renoviert, entstehen große Mengen an Abfall. Ähnlich schwer wiegen auch die Argumente des enormen Eigengewichts und der langen Herstellungsdauer im Brennofen bei 900-1200 °C mit entsprechend hohem Energiebedarf. Es scheint unausweichlich, dass auch das Fliesensegment, wie so viele Bereiche aktuell, gewissermaßen einer Generalüberholung bedarf. Einige Produzent:innen haben das zukunftsfähige Potenzial der Fliese erkannt und bieten bereits neue innovative Lösungen an. So werden die Kacheln etwa immer häufiger in dünneren Ausfertigungen hergestellt, um dadurch effektiv Rohstoffe, Energien und Kosten sparen zu können. Statt der standardisierten Stärke von 8-12 Millimetern sind manche Exemplare jetzt auch in Stärken von 3-5 Millimetern erhältlich. Doch es gibt noch mehr Ideen am Markt...

Kacheln zum Klicken

Wie sehr die Fliese dem modernen Zeitgeist entsprechen kann, stellt CLICK'N TILE aus dem dänischen Hellerup unter Beweis. Gleich auf mehreren Ebenen wird sich dem Thema Nachhaltigkeit gewidmet. Beim Austausch der alten Kacheln in seiner Küche haderte Gründer Lars Thomsen nicht nur mit dem anfallenden Lärm, Staub sowie den extremen Abfallmengen. Auch die Suche nach einem neuen geeigneten Design, an dem er möglichst lang Freude hat, gestaltete sich als schwierig: „Ich hatte die Wahl zwischen einem klassischen, eher langweiligen Fliesenspiegel oder einem Muster, das in zwei bis drei Jahren wahrscheinlich nicht mehr in Mode sein würde – beide Varianten gefielen mir nicht.“ Also entwickelte Thomsen 2017 kurzerhand die Fliese zum Klicken. Ähnlich wie bei Lego-Steinen werden die einzelnen Kacheln einfach auf eine Montageplatte gesteckt und können bei Bedarf jederzeit wieder neuangeordnet werden. Individuelles Interior Design, das mit dem Takt der Zeit geht! Die Trägerplatte wird dabei einfach auf einen bestehenden Fliesenspiegel geklebt, ohne dass dieser extra entfernt werden muss. Sowohl Fliese als auch Platte bestehen – anders als die berühmten Spielsteine – aus recyceltem Kunststoff. Gerade einmal 24 Gramm wiegt ein Einzelstück, was die Verlegung deutlich vereinfacht. „Im Moment arbeiten wir an der Einführung neuer Kunststoffformen mit deutlich geringerer CO2-Belas- tung, indem wir hochwertige recycelte Polymere verwenden, die dann mit Pflanzenfasern wie Hanf oder Holzzellulose kombiniert werden", erklärt Thomsen. Ziel ist es CO2-Neutralität zu erreichen, ohne dabei die Leistung zu beeinträchtigen.

Aus Schutt und Altglas

Die Firma SHARDS aus Sassenberg im Münsterland verfolgt einen anderen nachhaltigen Ansatz. Das Green Start-up konzentriert sich weniger auf die Art der Verlegung von Fliesen, sondern vielmehr auf deren Beschaffenheit. Bereits während ihres Produktdesignstudiums tüftelte Gründerin Lea Schücking an recycelten Fliesen. Aus Bauschutt sollten sie sein, um so perspektivisch Mülldeponien entlasten, Ressourcen schonen und die Circular Economy unterstützen zu können. Heraus kam SHARDS und die positive Resonanz ließ nicht lange auf sich warten. Die Designerin erhielt zahlreiche Preise für ihr revolutionäres Produkt: „Anstatt Primärrohstoffe zu verbrauchen, geben wir mit unseren Fliesen Abfallstoffen ein zweites Leben“, erklärt sie stolz. Denn laut Umweltbundesamt kamen im Jahr 2020 in Deutschland rund 229 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle zu- sammen. Mit Urban Mining werden Sekundärrohstoffe aus Abfällen gewonnen und anschließend wieder in den Wirtschaftskreislauf eingespeist. Damit leistet SHARDS einen bedeutenden Beitrag zur dringend benötigten Wende im Bausektor. Und auch visuell punktet das Produkt: Aus den ver- schiedenen Braun- und Grüntönen alter oder gebrauchter Gipsplatten, Ziegel, zerborstener Fenster und Altglas entstehen neue Fliesen im beliebten Vintage-Look – und zwar ganz ohne zusätzliche Farbstoffe! Mittels einer Förderung durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt werden Schücking und ihr Team 2024 an den Markt gehen.

Initiative „Deutsche Fliese“

Nachhaltige Fliesen werden heute als wichtiger Teilaspekt des Green Buildings verstanden. Hierbei liegt laut Bundesamt für Umweltschutz der Fokus auf der Minimierung des Energie- und Ressourcenverbrauchs. Der moderne Gebäudebau soll sowohl das Klima als auch das Wohlergehen aller Lebewesen so wenig wie möglich belasten und gleichzeitig die Gesamtwirtschaftlichkeit eines Hauses steigern. Wie ökologisch und energie- effizient die Fliesenproduktion hierzulande bereits ist, macht der Bundesverband keramische Fliesen mit seiner Initiative Deutsche Fliese deutlich. Getreu der Maxime nachhaltig Bauen, gesund Wohnen bestehen die Fliesen aller teilnehmenden Hersteller:innen aus heimischen Rohstoffen. Diese regionale Wertschöpfung sorgt entsprechend für kurze Transportwege und geringere CO2-Emissionen. Außerdem sind die Waren der Hersteller:innen mit dem IBU-Siegel gekennzeichnet. Die Nach- haltigkeitszertifizierung ist Teil einer Umwelt-Produktdeklaration des Instituts Bauen und Umwelt und steht für Transparenz sowie Glaubwürdigkeit. Verbindlich kann sich über technische und umweltrelevante Produkteigenschaften der Fliesen informiert werden. Dies ist insofern von großer Relevanz, weil jede Kaufentscheidung nicht nur den Erhalt der Umwelt, sondern auch die Lebensumstände für Mensch und Tier beeinflusst. Damit geht im Fliesensegment nicht nur auf internationalem, sondern auch auf nationalem Weg einiges voran, wenn es um nachhaltiges Bauen, Einrichten und Wohnen geht.

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Frida und die Farbe

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